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Probleme lösen durch Reisen


Dear Diary,

vor Problemen wegzulaufen ist keine Lösung. Oder vielleicht doch? Was denkst du?

Ich denke, dich für immer auf und davon zu machen und deine Probleme zu ignorieren und hinter dir zu lassen, ist keine Lösung. Zu irgendeinem Zeitpunkt musst du dich einfach mit deinen Problemen auseinandersetzen. Ob du es willst oder nicht. Was aber tatsächlich helfen kann: Ein wenig Abstand - etwas Distanz - von deinen Problemen zu gewinnen. Für mich stellte mein Auslandsaufenthalt in England genau diese Distanz dar.

Denn kurze Zeit vor meinem Erasmus-Jahr sind in meinem Leben einige Dinge passiert, die ich verarbeiten musste. Es ist ein sehr persönliches, einschneidendes Thema, das auch andere Personen betrifft, weshalb ich an dieser Stelle nicht näher ins Detail gehen möchte bzw. kann. Jedenfalls konnte ich dieses persönliche Problem zuhause nicht verarbeiten. Im Gegenteil: Je mehr ich zuhause war, desto problematischer wurde es eigentlich.

Und dann kam mein Jahr in England. Endlich ein wenig Abstand. Und dieser Abstand war Gold wert! Als ich in England war, konnte ich plötzlich einen ganz anderen Blickwinkel auf meine Probleme werfen. Ich hatte endlich Zeit zu reflektieren und mich mit meinen Problemen sachlich auseinanderzusetzen!

Ironischerweise hatte ich in England sogar eine Vorlesung, die sich mit Reflektion auseinandergesetzt hat. Hier musste ich einen "Reflective Log" schreiben. Dabei haben wir die sechs Schritte der Reflektion gelernt:

1. Beschreibung: Was ist passiert?

2. Gefühle: Was denkst und fühlst du?

3. Evaluation: Was war gut/ was war schlecht?

4. Analyse: Was kannst du aus der ganzen Sache für einen Sinn ziehen?

5. Ergebnis: Was hättest du anders machen können?

6. Plan: Was kannst du daraus lernen? Wie wirst du in Zukunft vorgehen?

Zwar habe ich es in der Vorlesung noch nicht ganz bemerkt, doch genau diese Punkte habe ich unterbewusst während meiner Auslandszeit nacheinander abgehakt. Ich habe mich zuerst intensiv damit auseinandergesetzt, was zuhause passiert ist und wie ich mich entsprechend fühle. Dann habe ich langsam angefangen mich dem Ganzen zu öffnen und habe neben allen Nachteilen plötzlich auch Vorteile erkannt. Denn während ich in Deutschland nur Schlechtes gesehen habe, habe ich mir in England erstmals Gedanken darüber gemacht, wieso die Situation auch gute Seiten hat. Dadurch konnte ich plötzlich für mich eine Art Sinn aus der Sache ziehen. Ich fing an das Problem nicht länger als Problem zu sehen, sondern als eine bloße Umstellung in meinem Leben. Diese Erkenntnis führte letztlich dazu, dass ich meine bisherigen Handlungen mit Blick auf das Problem überdachte. Darauf aufbauend machte ich mir Gedanken darüber, wie ich mich in Zukunft besser verhalten könne - wenn ich dann zurück in Deutschland bin.

So schnell wie ich das jetzt alles beschrieben habe, ging es natürlich nicht. Vielmehr war es ein langwieriger Prozess, für den ich mehrere Monate brauchte. Mehrere Monate Abstand in England. Zeit und Entfernung, die ich in Deutschland nicht hatte. Diese Zeit und Entfernung waren für mich wie ein Psychologe. Mein Problem hätte ich ohne diesen Abstand wahrscheinlich so nicht reflektiert. Jedenfalls hätte ich bestimmt viel länger gebraucht, um zu meinen Ergebnissen zu kommen.

Selbstverständlich war zurück in Deutschland noch nicht alles wieder Friede-Freude-Eierkuchen. Vielmehr brauchte ich erstmal meine Zeit, meine neue Denkweise umzusetzen. Ehrlich gesagt waren die ersten Wochen zurück in der Heimat erstmal ein kleiner Rückschlag. Denn wenn du plötzlich wieder täglich mit dem Problem konfrontiert wirst, dann ist das wesentlich schwieriger, reflektiert und sachlich damit umzugehen, als sich in weiter Ferne Vorsätze zu überlegen. Doch nach einer gewissen Anpassungszeit habe ich es dann endlich geschafft!

Zwar könnte es sein, dass ich auch in der gleichen Zeit in Deutschland ähnliche Ergebnisse erzielt hätte, das weiß keiner. Doch ich bin mir sicher, dass ich in Deutschland nicht in derselben Weite reflektiert hätte und nicht soweit in meiner Denkweise gekommen wäre. Das sagt mir einerseits mein persönliches Gefühl, andererseits konnte ich deutliche Unterschiede in den Reflektionsstufen zwischen meinem Bruder (der keinen Abstand hatte) und mir (die Dank England 9 Monate Abstand gewinnen konnte) erkennen.

Auch auf kürzeren Auslandsaufenthalten habe ich schon oft bestimmte Themen besser reflektieren können. Bei kleineren Ereignissen kann manchmal eben auch schon eine kürzere Zeitspanne zur Verarbeitung helfen. Außerdem habe ich durch meine Reisen generell meine Denkweisen weiterentwickelt. Beispielsweise habe ich dadurch eine viel nachhaltigere Denkweise entwickelt. Zudem habe ich viele Eindrücke hinsichtlich des Themas Ernährung sammeln können, sodass ich mit der Zeit eine (für mich) viel gesündere Ernährungseinstellung entwickelt habe.

Ich mag keine konkreten Belege für meine Behauptung haben, dass das Reisen dir dabei helfen kann, deine Probleme (besser) zu lösen. Doch meine eigenen Erfahrungen zeigen es mir deutlich: Das Reisen hat mir dabei geholfen, meine Probleme und mein Alltagsverhalten zu überdenken. Diese Reflektion verhilft mir immer wieder, Probleme sachlicher zu lösen und Alltagshandlungen anzupassen. Doch versuche es selbst und mache deine eigenen Erfahrungen!

xx Chiara